fili mi absalon

Im Mittelpunkt dieses Programms stehen zum einen die geistlichen Konzerte, die der berühmte frühbarocke Meister Heinrich Schütz für die ungewöhnliche Besetzung mit einem Sänger, vier Posaunen und Basso Continuo geschrieben hat. Diesen geistlichen Konzerte stehen zwei zeitgenössische Werke gegenüber. „Summa“ von Arvo Pärt sowie „Gras“ von Jürg Frey. Die Besetzung des Continuos mit einer Barockharfe erscheint im ersten Moment etwas ungewöhnlich. Klanglich macht es jedoch durchaus Sinn, weil die häufig verwendete Truhenorgel den Posaunenklang konkurrenziert. Gerade bei den geistlichen Konzerten wechseln sich Gesangspassagen, die nur vom Continuo begleitet sind, in der Regel blockartig mit den instrumentalen Posaunenpartien ab. Ein Saiteninstrument, i buccinisti haben auch öfter mit Lautenisten zusammengearbeitet, bildet einen viel grösseren Kontrast zur Truhenorgel und schafft eine berührende Intimität. Mit den instrumentalen Zwischenspielen der Harfe und der Möglichkeit, zwei Schemelli-Lieder von Johann Sebastian Bach aufzuführen, ist das Programm als Ganzes sowohl geschlossen als auch in sich vielfältig und abwechslungsreich.

Vollständiges Programm & Texte

Gras

               Gras soweit das Auge reicht
               welkt und blüht es jedes Jahr
               Feuer brennt es nicht ganz weg
               Frühling bläst es wieder her
               wuchert alte Strassen zu
               leuchtet in Ruinen auf
               wieder seh ich dich, mein Freund, du gingst
               Abschied bleibt im Herz

               Bai Juyi (772-846)

Fili mi Absalon und „Gras“

Der bekannte Aargauer Komponist Jürg Frey hat speziell für diese aussergewöhnliche Besetzung und dieses Programm eine Auftragskomposition geschrieben. „Gras“ für einen Sänger, Barockharfe und vier Barockposaunen, bezieht sich nicht nur inhaltlich, sondern  auch formal auf die Tradition der barocken geistlichen Konzerte. Das Gedicht „Gras“ des chinesischen Schriftstellers Bay Juyi erscheint wie eine zeitlose, säkulare Replik auf die religiösen Texte, die den frühbarocken geistlichen Konzerten zugrundeliegen. In Jürg Freys Stück ereignet sich ganz wenig, es gibt sich so karg wie der Text, den es vertont. Instrumentale, fast statische Bläser-Blöcke nehmen eine ähnliche Funktion wahr wie die instrumentalen Zwischenspiele bei Heinrich Schütz. Die formalen Strukturelemente, die beispielsweise Heinrich Schütz‘ „Fili mi Absalon“ prägen, finden sich auch in „Gras“ in analoger Form. Eröffnet werden beide Kompositionen mit einer „Sinfonia“. Während bei Schütz die musikalischen Motive eingeführt werden, ist es bei Frey ein einzelner Klang, ein Dreiklang in weiter Lage mit hinzugefügter Sext, der als solcher mehrfach wiederholt wird und dadurch einen gewissen Signalcharakter hat, aber auch eine offene Grundstimmung evoziert. Gesang wird bei Schütz wie bei Frey grundsätzlich alleine vom Continuo beziehungsweise der Barockharfe begleitet, während die Posaunen in Zwischenspielen das Geschehen kommentieren. Diese Zwischenspiele sind bei Schütz affektgeladen und höchst dramatisch gestaltet. In Freis Komposition nehmen die instrumentalen, fast statischen Bläser-Blöcke eine ähnliche Funktion wahr. Die Gesangslinien sind bei Frei extrem reduziert, doch gibt es subtile, expressiv angereicherte Momente, die einzelne Worte hervorheben und mit Bedeutung aufladen. Ein einzelnes, besonderes Zwischenspiel bricht die akkordische Behandlung des Posaunensatzes auf. Einzelne sparsam gesetzte Töne in den verschiedenen Stimmen erinnern an die ausgedünnten polyphonen Geflechte bei Anton Webern, sie haben aber auch eine Art Durchführungscharakter. Durch die vielen Wiederholungen, die häufig nur durch leicht unterschiedliche Dauern variieren, erhalten die auffallenden Änderungen, beispielsweise die Flageolett-Passage vor dem Schlussteil, ein grosses Gewicht. Diese Flageolett-Passage bereitet als Kontrast auch ideal den Schlussklang vor, der unvermittelt den Klangraum in die Tiefe weitet und seinerseits die ausgedehnte finale Gesangslinie untermalt.

Jürg Frey zählt zu den wichtigen zeitgenössischen Schweizer Komponisten. Seit Jahren verfolgt er einen konsequenten, eigenständigen Weg, den er auch als Veranstalter in den Aarauer „Moments musicaux“ dokumentierte. Jürg Frey versucht immer wieder von neuem, in seinem Komponieren ganz einfache Fragen zu stellen und daraus Musik entstehen zu lassen. Das schwierigste sei, am Anfang einer Komposition neu von vorne zu beginnen, das Blatt zu leeren, damit es wirklich weiss sei. Die starke Reduktion, die Jürg Frey seit vielen Jahren konsequent vorantreibt, mag für Aussenstehende im ersten Moment suspekt wirken. Wer sich nicht darauf einlässt, sieht und hört wenig. Die elementare und fundamentale Auseinandersetzung mit den essentiellen Grundlagen der Musik ermöglicht jedoch faszinierende und berührende Erfahrungen.  Und ja, die Stille ist bei Jürg Frey tatsächlich ein konstituierendes Element und keine blosse Floskel. Das hat Kraft.

Jürg Frey: Gras (Ausschnitt)
für Bariton, Barockharfe und vier Barockposaunen /
Uraufführung Grossmünster Zürich / 14. März 2015

henryk böhm, bariton
ulrich eichenberger, altposaune
christian braun, tenorposaune
michael haslebacher, tenorposaune
christian brühwiler, bassposaune
giovanna pessi, barockharfe

Giovanna Pessi, Henryk Böhm, Wolfgang Schmid, Michael Haslebacher, Christian Brühwiler, Ulrich Eichenberger